French 75 by Richard R. Roesch

French 75 by Richard R. Roesch

Autor:Richard R. Roesch [Roesch, Richard R.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-10-27T16:00:00+00:00


XIX

Hinter einer der Plattenbausiedlungen, die heute zu zwei Dritteln leer standen, breitete sich eine Brache aus, die früher einmal bewirtschaftet worden war. Dahinter versteckte sich, jenseits eines schmalen Baumgürtels in einer Senke, eines der ältesten Dörfer dieser Region: Toitenwinkel, toter Winkel.

Heute kannte man diese Gemeinde hauptsächlich wegen des Heizkraftwerks, dessen riesiger Schlund zu einem der unschönen Wahrzeichen Rostocks geworden war. Vor Jahrzehnten war die Hansestadt ein Tor zur Welt gewesen, doch heute fuhren die Frachter lieber nach Stettin, wenn sie nicht nach Hamburg wollten. Stettin war nur eine Stunde von Berlin entfernt, die Güter konnten auf kleinere Schiffe verfrachtet und auf der Oder nach Süden transportiert werden. So hatte Mecklenburgs Großstadt im Gewirr der Ausweitung der Europäischen Union den Anschluss verloren. Auch der hiesige Fußballverein, der seit Jahren zwischen der zweiten und dritten Liga pendelte, hatte Imageprobleme. Randalierer zogen mit dem Verein durch das Land und hinterließen regelmäßig Chaos und Schrecken. Gerne nannten sie sich die Wikinger, aber sie waren keine Wikinger, weil sie nicht aus der Not heraus aufgebrochen waren, meinte er. Pawel Höchst sah die Fußballfans die Breite Straße blockieren, als er aus dem Fenster des Taxis starrte, das die Lange Straße entlangheizte, um nach Rostock-Toitenwinkel zu kommen. Hundert Euro waren für einen Taxifahrer viel Geld.

»Nicht viel los?«, fragte Pawel, der sich ablenken wollte.

»Monatsende, da ist immer mau.«

»Wieso?«

»Weil die ganzen Arbeitslosen am Monatsende keine Kohle mehr haben.«

»Arbeitslose fahren hier Taxi?«

»Nein, das nicht. Sie lassen sich nur, wenn sie nachts durchsaufen, von uns mit Alkohol versorgen.«

»Wie das?«

»Sie geben mir einen Fünfziger in die Hand und sagen, ich soll zur Tankstelle fahren, dies und das holen. Also tue ich das und bringe ihnen das Bier und den Schnaps.«

»So faul? Wieso an der teuren Tankstelle, ach so, verstehe, weil nachts ja nichts anderes aufhat.«

»Sie haben es erfasst. Ein Scheißjob, für diese Säufer den Trottel zu machen, die nicht einmal für einen Tag vorsorgen können.«

»Glaub’ ich gern. Ich bin mal zur See gefahren, ich weiß, wie scheiße Säufer sein können, wenn man ihnen Geld in die Hand gibt.«

»Meine Meinung, die haben zu viel. Wer säuft, aber nicht arbeitet, der muss ja ein reicher Mann sein. Unsereins spart sich jeden Cent zusammen, und die zahlen nicht einmal in die Rentenkasse ein.«

Pawel nickte und sah wieder aus dem Fenster. Ablenkung gut und schön, aber nicht das ewige Jammern. Sicherlich, Rostock war wie so viele Städte bis über beide Ohren verschuldet, weil der Stadtrat einen Kredit nach dem anderen aufgenommen hatte, und jetzt musste an allen Ecken und Ende gespart werden. Aber niemand war gezwungen, hier zu leben! Konnte man nicht weggehen? Für einen Privatdetektiv gab es hier jedenfalls genug Arbeit. Vielleicht könnte die Bezahlung besser sein, aber könnte sie das nicht immer? Für Pawel Höchst war Rostock jedenfalls der prächtigste Ort der Welt, Hort einer einzigartig blühenden Landschaft. Diese vielen kleinen Verbrecherseelen, die hier im Windschatten der Weite der Ostsee gediehen, sie sicherten dem Privatdetektiv ein gutes Auskommen. Solange sich keine Mafiabanden in der Stadt breitmachten, musste er nichts befürchten. Doch da würde die



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